I. Stark: Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DD

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Titel
Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR.


Herausgeber
Stark, Isolde
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
318 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Jürgen v. Ungern-Sternberg

Historiker pflegen vergangenen Zeiten in kritischer Absicht den Spiegel vorzuhalten, sollten aber damit rechnen, sich unversehens selbst ins Gesicht schauen zu müssen. Die Brüche des vergangenen Jahrhunderts haben dazu mehrfach in besonderem Masse Gelegenheit gegeben. Der Rezensent erinnert sich gut einer Tagung an der Humboldt-Universität in Berlin-Ost im September 1990, im letzten Monat also der untergehenden DDR. Während wir uns mit den problematischen Äusserungen des grossen Althistorikers Eduard Meyer rund um den Ersten Weltkrieg befassten, war nicht zu übersehen, dass viele der Anwesenden mit berechtigter Sorge über die Fragwürdigkeit sehr viel zeitnäherer eigener Äusserungen nachdachten. Offen sprach derartige Probleme nur Eduard Frolov aus (damals noch) Leningrad an, der die damnatio memoriae über Eduard Meyer in der Sowjetunionkritisch darstellte (Wiss. Ztschr. der Humboldt-Universität zu Berlin, R. Geistesund Sozialwiss. 40, 1991).

Dass nunmehr im November 2002 sich zahlreiche Gelehrte aus den östlichen wie den westlichen Bundesländern in Halle zu einer Tagung über die Alte Geschichte in der DDR zusammenfanden, ist schon als Faktum bemerkenswert. Das einleitende Referat von Ilko-Sascha Kowalczuk «Geschichte als Legitimationsinstanz. Marxistisch-Leninistische Geschichtswissenschaft in der DDR» (S. 12–41) brachte mit erfreulicher Klarheit in Erinnerung, mit welcher Stringenz die Historiker in den Dienst des Regimes genommen wurden und sich zumeist auch stellten. Deutlich wird freilich im Folgenden auch, dass dieser Befund im Bereich der Alten Geschichte differenziert werden muss.

Paradigmatisch wird dies an der Person von Elisabeth Charlotte Welskopf (1901–1979) zur Darstellung gebracht. Sie hatte nach Studien u.a. bei den Althistorikern Eduard Meyer und Ulrich Wilcken dann mit einer nationalökonomischen Dissertation über «die Organisation des internationalen Schuhwarenhandels» 1925 promoviert und war bis 1945 im Statistischen Reichsamt in Berlin tätig. Ihre aktive Gegnerschaft zum NS-Regime veranlasste sie, einen entflohenen KZ-Häftling zu verstecken, den sie später geheiratet hat. Im Jahre 1949 erlangte sie eine dreijährige Aspirantur an der Humboldt-Universität, um sich in Alter Geschichte zu habilitieren. W. erhielt damit in schon vorgerücktem Alter eine Qualifizierungschance wie manche andere in den Anfangsjahren der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR, weil die alten Eliten aus den verschiedensten Gründen beseitigt und verdrängt worden waren. Für den wirtschaftlichen Bereich hat dies ein Team um Lutz Niethammer faszinierend dargestellt (Lutz Niethammer u.a., Die volkseigene Erfahrung: eine Archäologie in der Industrieprovinz der DDR, Berlin 1991). Die Habilitation scheiterte 1953/54 zwar zunächst am Widerstand von Werner Hartke, W. lehrte aber weiterhin an der Humboldt-Universität und wurde dort nach der Habilitation 1959 Professorin (1960) und Leiterin der Abteilung Altertum (1961–1968). Seit 1964 war sie auch Ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.

Im Jahre 1957 erschien ihr Werk «Die Produktionsverhältnisse im Alten Orient und in der griechisch-römischen Antike», eine Zusammenstellung und Kommentierung der einschlägigen Äusserungen von den marxistischen Klassikern Marx und Engels, aber auch Lenin und Stalin. Später trat sie insbesondere als Initiatorin und Leiterin der grossen Sammelwerke «Hellenische Poleis. Krise – Wandlung – Wirkung» (4 Bde., Berlin 1974) und «Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt» (7 Bde., Berlin 1981–1985) hervor. Gleichzeitig veröffentlichte sie 1951 unter dem Namen Liselotte Welskopf-Henrich «Die Söhne der Grossen Bärin», das erste ihrer Indianerbücher, die bis heute in hohen Auflagen verkauft werden und die auch erfolgreich verfilmt worden sind (zu ihnen der Beitrag von Thomas Kramer, S. 206–228).

Frappierend ist nun, wie verschieden die an der Tagung vorgetragenen Urteile über dieses Werk ausgefallen sind. Vom fachwissenschaftlichen Standpunkt aus kommt Wilfried Nippel zu dem vernichtenden Schluss: «Heute wiedergelesen, stellen sich Welskopfs Produktionsverhältnisse – bei allem Respekt für die mühevolle Sammelarbeit – als wissenschaftliches Desaster dar» (S. 183). Bei den «Hellenischen Poleis» wie bei den «Typenbegriffen» stellt Kurt Raaflaub seinerseits «das Fehlen einer festen herausgeberischen Hand» (S. 255), im Grunde aber generell das Fehlen einer durchdachten Konzeption fest.

So richtig diese Urteile aber auch sein mögen, sie können nicht allen Aspekten der Problematik gerecht werden. So machen die Beiträge von Vera V. Dementieva (S. 157–169) und von Bernd Florath (S. 184–200) über die innermarxistische Diskussion um die sog. «asiatische Produktionsweise» deutlich, dass schon in dem Rückgriff auf sämtliche Äusserungen der Klassiker wegen der dabei notwendig zutage tretenden Diffenzen innerhalb der kanonischen Schriften ein erhebliches – und für die Autorin auch nicht ungefährliches – kritisches Potential lag. Andere Beiträge arbeiten, manche in persönlichen Erinnerungen, heraus, wie sehr W. durch die grossen Gemeinschaftsunternehmungen ihrer letzten Jahre Freiräume für regimeferne Mitarbeiter geschaffen hat, die sie z.T. aus den Erträgen ihrer populären Schriftstellerei auch selbst anstellte (als solcher wiederum ein in der DDR bemerkenswerter Vorgang), wie sehr sie durch die Mitarbeit ausländischer, auch westlicher, Gelehrter die Altertumswissenschaft der DDR in einen internationalen Kontext zu stellen vermochte. Insgesamt erweist sich W. also in der Aussenperspektive als fachlich limitierte Forscherin, die in der Binnenperspektive einerseits als Mitglied der SED fest im Regime verankert war, andererseits ihr persönliches Prestige hilfreich für andere Forscherinnen und für das Überleben der Altertumswissenschaft in der DDR zu nutzen verstand. Wobei der Rezensent zumindest die Frage zu stellen wagt, ob sie da nicht ein wenig zu sehr zur lichten Gegengestalt gegenüber einem Werner Hartke oder Rigobert Günther stilisiert worden ist. Leider hat nur der Letztere durch Burkhard Meissner eine Darstellung erfahren (S. 90–107). Die Schwierigkeit historischer Urteile über finstere Zeiten wird jedenfalls ein weiteres Mal eindrucksvoll demonstriert.

Von den übrigen, allesamt lesenswerten Beiträgen sei nur der von Detlef Lotze über «die Alte Geschichte in Jena von 1945 bis 1989» hervorgehoben (S. 108–116), der in sympathischer Zurückhaltung vom Überdauern unter widrigen Umständen berichtet. Der Bericht von Isolde Stark über zwei Podiumsdiskussionen (S. 282–291) skizziert nochmals die Möglichkeit ganz unterschiedlicher Perspektiven auf eine glücklicherweise vergangene Epoche.

Leider nicht begründet wird, warum der Beitrag von Stefan Rebenich «Nationalsozialismus und Alte Geschichte. Kontinuität und Diskontinuität in Forschung und Lehre» (S. 42–64) aufgenommen worden ist. Fachlich ausgezeichnet werden darin ausschliesslich Probleme der bundesrepublikanischen Althistorie behandelt. So verdienstvoll das an sich ist, im Rahmen des Bandes wäre einerseits ein Blick auf – durchaus vorhandene – Elemente der Kontinuität in der DDR (Werner Hartke) mehr am Platz gewesen, andererseits ein Versuch, die Bedingungen für die Alte Geschichte in beiden totalitären Regimen zu vergleichen oder zu kontrastieren.

Insgesamt hat Isolde Stark als Herausgeberin ein Werk zusammengebracht, das gerade in der Vielfalt, ja Widersprüchlichkeit der Sichtweisen und Erinnerungen ein perspektivenreiches Bild einer geschichtlichen Disziplin in der DDR zu zeichnen vermag.

Zitierweise:
Jürgen v. Ungern-Sternberg: Rezension zu: Isolde Stark (Hg.): Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR. Stuttgart, Franz Steiner, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 377-379.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 377-379.

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